Unsere Kreativ-Geschichte im August

Vorhang auf für die Kunst der Künste

Wie das Theater zahlreiche kreative Bereiche vereint

Fast scheint es, als läge das Theater in unseren Genen: So lieben wir es bereits als Kinder, auf dem Dachboden in Omas alten Kleidern zu wühlen und den Rest des Tages als Cowboys, Prinzessinnen oder Piraten zu verbringen. Decken und Kissen verwandeln Betten in uneinnehmbare Festungen und selbst Kuscheltiere werden plötzlich zu gefährlichen Bestien. Fantasie und viel Kreativität sind hier unerlässlich – genau wie im „richtigen” Theater. Nicht umsonst gilt es als Urkunst der Menschheit, die alle anderen Künste in sich vereint.

Ganz am Anfang steht die Gattung der Literatur. Jeder, der selbst einmal versucht hat, eine eigene Geschichte zu verfassen, weiß, wie viel Arbeit darin steckt. Das Schreiben eines Theaterstücks erfordert noch einmal mehr Hintergrundwissen, Talent und Einfallsreichtum: Der Autor eines Bühnenstücks muss die verschiedenen Spielformen, ihre Merkmale, ihre Vor- und Nachteile kennen, von Musical, Oper oder Operette bis hin zur klassischen Tragödie, Komödie oder dem Drama. Hat er sich für eine entschieden, geht es darum, den Stoff zu verdichten. Es darf keine Szene zu viel im Theaterstück vorkommen – schließlich bleibt nur eine begrenzte Zeit, um die Geschichte auf der Bühne zu erzählen. Auch bei den Figuren sind innovative Lösungen gefragt. Bei ihnen besteht zum Beispiel das Problem, dass sich eine Vorgeschichte oder der Charakter nur schlecht näher beleuchten lässt. Stattdessen müssen die Zuschauer das Wesentliche durch das Äußere, Gestik, Mimik und gesprochenem Text der jeweiligen Figur erschließen. Ein Beispiel für eine Umsetzung ist die Figur der Eliza Dollittle im Musical „My Fair Lady”. In vielen Inszenierungen tritt die arme Blumenverkäuferin mit zerschlissenen Kleidern und einem derben Akzent auf.

Doch auch bei Literaten, die eine bereits vorhandene Romanvorlage nutzen oder einen Klassiker neu inszenieren sollen, geht es nicht ohne Kreativität. Gerade bei Letzterem stehen sie vor der schwierigen Aufgabe, eine meist schon viele Male erzählte Geschichte noch ein weiteres Mal zu erzählen. Egal, ob es sich dabei um Mozarts „Zauberflöte”, Lessings „Emilia Galotti” oder Schillers „Kabale und Liebe” handelt – das Stück muss originell genug sein, um die Zuschauer ins Theater zu locken.

Steht das Stück schließlich, fehlt noch die passende musikalische Untermalung. Sofern es sich um ein neues Stück oder eine moderne Adaption handelt, steht der Komponist vor einer echten Herausforderung. Denn obwohl sie – anders als das Geschehen auf der Bühne – für das Auge unsichtbar ist, besitzt sie eine ziemliche Macht. Studien beweisen, dass Musik Emotionen übermittelt, dass sie den Zuschauer in eine Szene eintauchen und mit den Charakteren mitfiebern lässt. Um die gewünschte Wirkung zu erzielen, benötigt der Komponist für jede Szene genau die richtige Melodie.

Eine weitere Kunst-Gattung, die das Theater ausmacht, ist die bildende Kunst. Hierzu zählen vor allem Malerei, Grafik und Architektur. Beim Theater zeigt sie sich etwa in Form der Kulissen, die Bühnenbildner entwerfen und dann von Handwerkern fertigen lassen. Dem Bühnenbildner liegen zunächst nur das Skript und eventuell einige vage Ideen des Regisseurs vor. Um das finale Bühnenbild schon vorab im Kopf entstehen zu lassen, wird er daher nie ohne ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen und viel Fantasie auskommen.  Darüber hinaus muss er sich in Architektur, Kulturgeschichte und der Materialkunde auskennen – und fleißig recherchieren. Denn nur so weiß er beispielsweise, dass bei Tolstois „Anna Karenina“ besser keine französischen Balkone in der Kulisse auftauchen sollten oder dass sich Berge und Felsen gut aus Styropor nachbilden lassen.

Bereits zum Anfertigen der ersten Entwürfe bedarf es viel Geduld und Ausdauer, zudem muss ein Bühnenbildner mitunter in die verschiedensten Richtungen denken und neue, innovative Ideen finden. Sobald die Entwürfe stehen, geht es an die Umsetzung. Die Fähigkeit, Rückschläge einzustecken, dürfte hier von Vorteil sein: Schließlich kann es immer gut sein, dass ein Entwurf in Originalgröße anders wirkt als gedacht oder sich ein Bühnenbild noch nicht schnell genug wieder abbauen lässt, um Platz zu machen für das nächste.

Übrigens – dass es für viele Probleme eine kreative Lösung gibt, wenn man nur intensiv genug darüber nachdenkt, zeigte schon Leonardo da Vinci: Um 1490 zeichnete er bereits einen Entwurf für eine Drehbühne, um einen schnelleren Kulissenwechsel zu ermöglichen.