Unsere Kreativ-Geschichte im Juli
Der Stoff, aus dem die Räume sind
Eine kurze Historie des Bauens
Sie ist im Schnitt 35 Kilometer dick und wirkt auf den ersten Blick eher unscheinbar – die Erdkruste. Und doch steckt das Material, das die Oberfläche unseres Planeten bedeckt, voller Überraschungen und Möglichkeiten. Allein die Vielfalt der Bestandteile, die sich in der Erde verbirgt, diente den Menschen im Lauf der Jahrtausende als Grundlage für immer neue, immer kreativere Einfälle. Zu sehen ist das besonders an den Unterkünften, die sich der Mensch aus den verschiedenen Materialien in der Erde bisher baute.
Um 10.000 v. Chr. wohnten die Menschen noch in Höhlen oder Reisighütten. Rund 500 Jahre später entstanden die ersten Pfahlbauten. Sie bestanden aus Baumstämmen und einem der ältesten Baumaterialien der Welt: Lehm. Um den nächsten Schritt zu gehen, benötigte es noch einmal viele Hundert Jahre, während der man das Baumaterial nach und nach immer besser kennenlernte. Wie so oft diente auch hier ein umfangreiches Wissen als Grundstein, um daraus eine neue, kreative Idee zu entwickeln – aber auch die Fähigkeit, aus zwei zunächst unabhängigen Dingen etwas Neues zu erschaffen. In diesem Fall: Lehm und Feuer. Die ersten Ziegel aus gebranntem Lehm stammen aus der Zeit um 7.500 v. Chr.
Spätestens um 1050 n. Chr. grub man mancherorts jedoch tiefer – und stieß auf Stein, aus denen man sogenannte „feste Häuser“ errichtete. Steinerne Unterkünfte, meist Burgen und Schlösser, entstanden. Im Mittelalter rückten zudem langsam dekorative Aspekte in den Fokus. Ein Beispiel dafür ist Stuck, der vor allem aus Gips besteht. Gips entsteht meist über Millionen von Jahren in seichten Meeresteilen, wo er sich langsam am Meeresgrund ablagert und erst zugänglich wird, nachdem alles Wasser verschwunden ist.
Bekannt war das Material bereits den Ägyptern, den Mayas und den Römern. In Deutschland gelten Barock und Rokoko als Stuck-Blütezeit – und noch heute fasziniert die Kreativität und Detailverliebtheit, mit der Stuckateure künstliche Ranken, Rahmen, Figuren und Borten formten.
Auch die Ausgangsstoffe für das heute am häufigsten eingesetzte Baumaterial befinden sich seit jeher in der Erde und warteten nur darauf, entdeckt und neu zusammengesetzt zu werden: Kalkstein, Ton, Sand, Eisenerz und Gips. Alle zusammen ergeben Zement, der wiederum mit Wasser zu Beton wird. Im Wesentlichen sind vier Wissenschaftler für die Erfindung verantwortlich. Der erste war der Engländer John Smeaton, der mit Kalken und Tonen experimentierte und so einen selbsterhärtenden Baustoff entdeckte. Es folgten der Franzose Louis-Joseph Vicat, der herausfand, dass Beton auf Temperaturschwankungen reagiert, was etwa beim Brückenbau eine Rolle spielt. Der erste „richtige“ Zement stammt von Joseph Aspdin: Er nutzte dafür Klinker aus Tonmineralen und Kalkstein, brannte sie bei 1.450 °C, mahlte sie und verwendete sie als Grundlage für seinen Portland-Zement.
Heutzutage verstärken Konstrukteure den Beton zudem meist mit Stahl. Als Erfinder dieser Stahlbeton-Bauweise gilt aber keinesfalls ein Ingenieur – sondern ein Gärtner namens Joseph Monier. Er ist sicherlich das beste Beispiel dafür, dass Einfallsreichtum und Beharrlichkeit wichtiger sind als Wissen. Denn auch andere Zeitgenossen waren bereits auf das Prinzip gestoßen, hatten es aber nicht weiter verfolgt. Monier dagegen ließ seine mit Drahtgewebe verstärkten Beton-Blumenkübel patentieren. Dadurch ermöglichte er unzählige Bauwerke der Neuzeit, die allesamt mit (nach ihm benanntem) Moniereisen verstärkt sind. So wie der aktuell höchsten Turm der Welt, den Burj Khalifa, der unglaubliche 828 Meter in die Höhe ragt – eine Errungenschaft, die man sich vor über 10.000 Jahren nie erträumt hätte.