Spannendes Sprachwissen zu “schreiben” und “reißen”
Warum „schreiben" und „reißen" unerkannte Verwandte sind
Auf den ersten Blick scheinen die beiden Wörter “schreiben” und “reißen” wenig miteinander gemein zu haben – abgesehen davon vielleicht, dass sie beide den Doppellaut “ei” enthalten. Bei dem Wort “schreiben” ist die Bedeutung recht übersichtlich und läuft früher oder später darauf hinaus, Schriftzeichen, Buchstaben, Ziffern, Noten oder Ähnliches in einer bestimmten lesbaren Folge irgendwo aufzuzeichnen oder einzugeben. Was das Wort “reißen” angeht, gestaltet sich die Zuordnung einer bestimmten Bedeutung schon schwieriger: Gerade im Umgangssprachlichen gibt es zahlreiche Redewendungen, beispielsweise ist es übliche Praxis, Witze zu reißen oder “endlich mal etwas zu reißen”. Manche reißen sich auch um etwas oder gar um jemanden und müssen sich daher, um nicht als übermotiviert zu gelten, womöglich am Riemen reißen.
Im Allgemeinen verbinden wir das Wort “reißen” jedoch mit einer der folgenden Bedeutungen: Was reißt, geht entzwei, etwa ein Faden oder ein Seil. Wenn einer etwas (zer)reißt, zieht er meist an zwei Seiten und zertrennt das jeweilige Material dadurch in zwei oder mehr Teile. Eine alte Bedeutung, die heutzutage häufig in Vergessenheit gerät, ist aber dieselbe wie bei dem Wort “schreiben” – nämlich “zeichnen”.
Beispielsweise im Bauwesen markiert man die richtige Stelle für Bohrungen oder Schnitte durch “Anreißen” auf dem jeweiligen Werkstück, also durch Einritzen oder Anzeichnen. Ein Grundriss ist die maßstabsgetreue Zeichnung eines Bauwerks, ein Abriss das laut dem Duden etwas veraltete Wort für eine Umrisszeichnung.
Also wie genau kommt es nun, dass “reißen” und “schreiben” eine gemeinsame Bedeutung teilen? Die Antwort findet sich in der Herkunft der beiden Wörter.
Denn “reißen” stammt von dem althochdeutschen Wort “wrīzan” ab, was so viel wie “ritzen” bedeutet. Früher verwendete man das Wort, wenn man Zeichen in Buchenholztafeln einritzte. Beispielsweise die englische Sprache orientierte sich stark an diesem althochdeutschen Ursprungswort und leitete davon das Wort “write” ab, auch wenn man die Buchstaben heute natürlich nirgends mehr einritzt, sondern aufschreibt. Im Deutschen nahm man sich dagegen statt dem althochdeutschen Wort “rizan” das lateinische Wort “scribere” zum Vorbild. Übersetzt bedeutet es so viel wie “mit dem Griffel eingraben, einzeichnen”. Aus “scribere” leitet sich wiederum das Wort “schreiben” ab.